Diesen Text gibt es leider noch nicht in Einfacher Sprache. Wir arbeiten daran.
Im letzten Beitrag haben wir einen kleinen Einblick in die queere Frühgeschichte der Games geworfen: Die 80er und 90er waren für die Games Culture eine prägende Zeit, in der viele heute immer noch bekannte Spieleserien ihren Ursprung hatten. Mit dem unaufhaltbaren Erfolg des Mediums bekamen Charaktere wie Super Mario, Sonic the Hedgehog, Cloud Strife oder Samus Aran feste Plätze in der Populärkultur. Queere Charaktere waren allerdings immer noch sehr selten zu finden.
Auch für den zweiten Teil unserer Reise in queere Games History war das LGBTQ Video Game Archive wieder eine wertvolle Quelle. Doch statt in die „Frühzeit“ der Games blicken wir nun auf eine, gefühlt gar nicht so weit entfernte, Zeit: Die 2000er bis heute! Erneut der Disclaimer: Die genannten Titel sind nur eine kleine Auswahl und dass ein Titel auf dieser Liste erscheint, soll keine Aussage über Qualität oder Relevanz des queeren Contents darin sein. Vielmehr soll diese Liste einmal einen anderen, vielleicht ungewohnten Blickwinkel auf Videospiele geben. Viel Spaß!
Die 2000er
Anfang der 2000er setzten die Games ihren Erfolgskurs in Richtung Mainstream weiter fort: Games wurden immer größer, technisch immer eindrucksvoller – und auch im Bereich queerer Repräsentation ging es voran! Für die 90er verzeichnet das LGBTQ Video Game Archive 92 Einträge. Für das beginnende 21. Jahrhundert verdoppelt sich diese Zahl fast: 180 Einträge von Spielen mit mehr oder weniger explizitem LGBTQ+-Inhalt wurden für die Jahre 2000 bis 2009 gesammelt. Natürlich hat dies auch damit zu tun, dass immer mehr Spiele erschienen. Doch es ist auch erkennbar, wie sich die Repräsentation von queeren Themen in den Medien verändert hat: Buffy the Vampire Slayer: Chaos Bleeds (2003, NGC, PS2, Xbox) ist das dritte Game zur erfolgreichen TV-Serie, die bei uns als Buffy – Im Bann der Dämonen bekannt ist. Im Spiel wird erstmals auch die lesbische Beziehung zwischen Willow und Tara, die auch in der TV-Serie ab Staffel 4 ein Paar sind, gezeigt. Das Spiel stellt diese Beziehung, wie auch in der Serie, durchweg positiv dar.
Einen guten Eindruck davon, wie sich die Repräsentation queerer Themen in Games im Verlauf der Zeit änderte, gibt auch ein Blick auf Die Sims (PC): Im Jahr 2000 erschien der erste Teil der erfolgreichen Lebenssimulation. Wie in allen späteren Teilen können hier zwei Sims gleichen Geschlechts eine Liebesbeziehung eingehen, zusammenziehen und sogar Kinder adoptieren – die Option einer Heirat bleibt jedoch (noch) Sims unterschiedlichen Geschlechts vorbehalten. Im Nachfolger The Sims 2 haben manche Sims eine Präferenz für das gleiche Geschlecht. Eingetragene Lebenspartnerschaften sind zwar erstmals möglich, unterscheiden sich jedoch in ihrer Bezeichnung (und in den Bestrebenspunkten die sie geben!) von einer Ehe, die hier nur Sims unterschiedlichen Geschlechts eingehen können. Erst in The Sims 3 (2009) wird auch dieser Unterschied beseitigt: Nun können alle Sims heiraten – unabhängig ihres Geschlechts.
Alles in allem spiegelt sich auch bei Games in den 2000ern die sich langsam verbessernde Repräsentation queerer Themen in den Medien wieder. Dennoch finden sich immer noch kaum LGBTQ-Charaktere, erst recht nicht in Hauptrollen. Und dort, wo man sie findet, bleiben ihre Darstellungen nicht unumstritten: Charaktere wie Kanji Tatsumi aus Persona 4 (PS, 2008) als auch Bayonetta (PS, XBOX) aus dem gleichnamigen Spiel von 2009 werden als queere Charaktere gleichermaßen gefeiert als auch ihre stereotype Darstellung kritisiert. Und während der Hauptcharakter aus Dragon Age: Origins (PC, XBOX, PS, 2009) die Möglichkeit für homo- oder bisexuelle Partnerschaften hat, wird zumindest der männliche Commander Shepard aus Mass Effect (XBOX, PC, PS, 2007) noch einige Jahre auf eine Romanze warten müssen.
Die 2010er bis heute:
In den letzten zehn Jahren hat sich, auch wenn es manchmal nicht so wirken mag, vieles im Bereich Repräsentation in Games getan. Die Auflistung des LGBTQ Video Game Archive zu dieser Dekade unterstreicht das eindeutig: Insgesamt wurden über 980 Titel gesammelt, die in irgendeiner Art und Weise LGBTQ-Repräsentation beinhalten – ein riesiger Sprung zu den 180 Einträgen der vorherigen 10 Jahre. Auffällig ist dabei, welch große Rolle die Indie-Games-Szene spielt: Zwar gibt es auch bei den „großen“ Titeln deutliche Fortschritte, doch die besten und bedeutungsvollsten Repräsentationen queeren Lebens kommen aus kleinen Studios oder von Einzelpersonen, die das Medium nutzen, um sich und ihre Lebenserfahrungen als queere Persönlichkeiten auszudrücken. Dabei kann aber auch die andere Seite nicht unerwähnt bleiben: Mit den großen Fortschritten im Bereich der Repräsentation kam eine heftige Gegenreaktion von Teilen der Games Community einher, die teils in Belästigung oder gar Mordandrohungen gegenüber Indie-Entwickler:innen gipfelte. Am bekanntesten ist sicherlich #GamerGate im Jahr 2014, wo unter dem Deckmantel einer ethischen Diskussion unter anderem die Spieleentwicklerin Zoë Quinn und die Videojournalistin Anita Sarkeesian die Ziele anti-feministischer Hassreden im Internet wurden.
Auch Spiele mit queerem Inhalt, wie das 2013 erschienene Gone Home wurden von #GamerGate heftig angegriffen. Viele in dieser Zeit entstandene Dispute darüber, wer oder was Gamer sind, werden bis heute weiter geführt – was gewissermaßen auch ein Zeichen dafür ist, dass die Games Culture sich in diesen Jahren massiv verändert hat. Und diese Veränderungen zeigt sich auch in den Spielen selbst:
Betrachten wir zunächst das eben erwähnte Gone Home (PS, XBOX, Switch, 2013). Statt aufregender Action oder fesselndem Gameplay finden sich Spieler*innen allein in einem verlassenen Haus wieder, das es zu erkunden gilt. Zunächst wirkt das Setting wie die Grundlage eines klassischen Horror-Games. Doch stattdessen erzählt Gone Home eine Geschichte über queeres Leben in den 90ern, die Entfremdung von den eigenen Eltern und wirft dabei sämtliche Erwartungen an bestehende Genre um.
Bioware macht in diesen Jahren gleichgeschlechtliche Romanzen in ihren Rollenspielserien zum Standard. Im Fall von Mass Effect 3 (2012), dem langerwarteten Finale der Trilogie, gibt es darüber einige Kontroversen, weil männliche Spielercharaktere diese Möglichkeit erst ab Teil 3 haben.
In den 2010ern bekommt die LGBTQ+-Games-Community dann auch endlich eine größere Auswahl von Spielen, in denen die Hauptrollen homo- oder bisexuelle Charaktere sind : The Last of Us und seine Nachfolger (PS, 2013- 2020), die Life is Strange-Reihe (PS, 2015- 2019) oder Night in the Woods (PC, PS, XBOX, 2017) sind nur einige der bekannteren Beispiele. Auch Spiele mit Ensembles von Charakteren wie Overwatch (PC, 2016) oder Apex Legends (PC, 2019) haben inzwischen explizit queere Charaktere im Angebot. Weil dies aber meist nur im Hintergrundmaterial oder in Entwicklerkommentare und nicht in den Spielen selbst so dargestellt wird, werden auch Charaktere wie Soldier 76, Tracer, Valkyrie oder Bloodhound häufiger kritisiert.
Andere Teile der LGBTQ+-Community werden hingegen weiterhin nur sehr selten gezeigt. Im Bereich der Indie- und Expressive-Games finden sich die meisten Beispiele für Auseinandersetzungen mit trans-, nonbinären, asexuellen oder genderfluiden Identitäten. Als Beispiele seien hier die autobiographischen Titel Dys4ia (2012) und Ohmygod Are You Alright? (2015) von Anna Anthropy, das genderqueere Void and Meddler: Episodes 1 and 2 (2015-2016) und die Visual Novel Do I Pass? (2019) genannt.
Außerhalb der Indie- und Art-Game-Szene ist die Auswahl noch sehr spärlich. Neben dem schon im letzten Artikel erwähnten Tell me why (2020) kann auch der unterschätzte Puzzle-Plattformer mit dem sperrigen Titel The Missing: J.J. Macfield and the Island of Memories (2018) genannt werden, die beide transgender Charaktere und deren Erfahrungen in den Mittelpunkt stellen. Nonbinäre, asexuelle und andere Identitäten werden jedoch immer noch kaum bis gar nicht repräsentiert – zumindest im Bereich der kommerziellen Spiele. Eine rühmliche Ausnahme ist hier The Outer Worlds (2019), das mit Parvati eine explizit asexuelle Figur darstellt, die zu einem Fanliebling geworden ist. Dennoch bleibt zu hoffen, dass auch hier in Zukunft mehr Repräsentation in Spielen zu finden ist.
So viel zu unserer kleinen Tour durch die queere Videospielgeschichte. Mit dem Juni geht auch der diesjährige Pride-Month zu Ende, doch queere Repräsentation in Games bleibt das ganze Jahr relevant. Wir hoffen, ihr hattet Freude daran und konntet vielleicht ein paar neue Einblicke gewinnen und spannende Titel kennenlernen. Falls euer Interesse am Thema geweckt wurde, schaut doch einmal selbst ins LGBTQ Video game Archive!
Thilo Eisermann, 02.07.2021